F.A.Z., 12. August 2006
Blickachsen, ZeitachsenIn Darmstadt wird intensiv an den Installationen für den Waldkunstpfad gearbeitet
h.r. DARMSTADT. Den Weiden von Edgardo Madanes hat die weite Reise aus Argentinien nicht gutgetan. "Sie sind ganz dunkel geworden, wir müssen sie ab- und mit Wachs einreiben", sagt Ute Ritschel und winkt, während sie weitererzählt, dem argentinischen Künstler zu, der gerade durchs Unterholz des Stadtwalds stapft. Er sucht nach einem geeigneten Platz für seine Weidenstöcke, die das Material für die Installation "Blue globe of the Forest" bilden sollen. Jems Robert Koko Bi ist da schon einen Schritt weiter. Unweit des kleinen Forstarbeiter-Häuschens auf Rädern, an dem die teilnehmenden Künstler des 3. Internationalen Waldkunstpfades sich mit Tisch und Stuhl provisorisch eingerichtet haben, hat der Mann von der Elfenbeinküste ein großes Loch im Waldboden ausfindig gemacht und zu bearbeiten begonnen. Drei Kreise sind schon deutlich zu erkennen, die Koko Bi zu Sitzplätzen wie in einem Kolosseum gestalten möchte, und auch der Ort in der Mitte ist markiert, an dem er einen jungen Baum pflanzen wird.
Madanes und Koko Bi sind zwei von insgesamt 14 Künstlern aus zehn Ländern, die seit Montag an dem dreiwöchigen Symposion teilnehmen, zu dem der Verein Waldkunstpfad eingeladen hat. In diesem Jahr lautet das Motto "Laboratorium" und verweist auf die erstmals systematisch praktizierte Zusammenarbeit zwischen Kunst und Wissenschaft: Fast jeder teilnehmende Künstler kooperiert mit einem Fachmann, sei es einem Biologen, einem Philosophen oder Geologen.
Symposien sind dem antiken Wortsinn nach gesellige Trinkgelage. Da man das heute etwas anders sieht, gibt es zwar ein Künstlerfest und abendliche Geselligkeit im Naturfreundehaus, wo alle Teilnehmer untergebracht sind. Vor allem aber arbeiten die Künstler, zum Teil recht hart, denn am 26.August soll der Waldkunstpfad fertig sein und Besuchern Gelegenheit bieten, auf dem zweieinhalb Kilometer langen Rundweg zwischen Böllenfalltor, Goetheteich und Ludwigshöhe auf Entdeckungsreise zu gehen.
Kuratorin Ritschel und ihr Verein organisieren die künstlerische Feldforschung nun schon zum dritten Mal, was sich nicht verbergen läßt, weil in dem Waldstück noch immer "Reste" der Installationen von 2002 und 2004 zu finden sind. Zum Beispiel das gewaltige "Wald-U-Boot" des Odenwälders Roger Rigorth, an dem man unvermutet vorbeikommt, wenn man zu Joachim Kuhlmanns Wirkungsstätte möchte. Kuhlmann, der in Dresden Malerei und Bildhauerei studierte, 1987 nach Westdeutschland kam und seit 1991 mit seiner Familie in Darmstadt lebt und arbeitet, braucht schweres Gerät, weil sein diesjähriger Beitrag "Point de Vue" nicht nur aus einer schmalen Blickachse besteht, die sich von der Ludwigshöhe bis zu einer Ansammlung von Felsen 800 Meter weiter erstreckt. An der Stelle, wo die typischen Odenwald-Granitbrocken aufragen, will er in einem 23 Meter breiten Kreis vielmehr die gartenkünstlerische Schneise als Zeitachse in die Erdgeschichte verlängern, indem er mit dem Bagger in die Tiefe geht. "Ich bin selbst gespannt, was wir finden", sagt Kuhlmann, der mit seiner Arbeit veranschaulicht, wie die wissenschaftlich-künstlerische Gemeinschaftsproduktion funktioniert.
Seine "Partnerin" ist nämlich die Geologin Jutta Weber vom Geopark Odenwald. Die von ihnen ausgesuchte Baggerstelle liegt dort, wo vor rund zwölf Millionen Jahren einmal die Küste eines großen Meeres verlief, das sich über das ganze Rhein-Main-Gebiet erstreckte. Solche geologischen Tatsachen faszinieren den philosophisch interessierten Kuhlmann spätestens, seit er die Grube Messel besucht hat. Kuhlmann will den Funden im Waldboden eine "gestalterische Ordnung" geben, wie er sagt, und dem Weg zu diesem Stück aufgebrochener Erdgeschichte durch Texttafeln, die philosophische Sentenzen enthalten, einen meditativen Charakter verleihen. Mit Lebensweisheiten Goethes zum Beispiel: "Laß den Anfang mit dem Ende sich in EINS zusammenziehen." Weber stellt zwei Tafeln auf, die mit nüchtern-wissenschaftlicher Schnitt- und Zeichendarstellung die Erdgeschichte des Odenwaldes illustrieren.
Auch die Dietzenbacher Künstlerin Waltraud Munz inszeniert mit ihrer Arbeit geologische Gegebenheiten im Darmstädter Stadtwald. Allerdings richtet die gebürtige Schwäbin den Blick nicht wie einst Kant zum bestirnten Himmel oder wie ihr Kollege Kuhlmann ins Erdinnere, um die wahren menschlichen Größenverhältnisse zu veranschaulichen. Munz ist dabei, den Herrgottsberg zum "Gulliver-Land" und menschlichen Ameisenhügel zu machen. Mit dem Offenbacher Architekten Jürgen Reitz hat sie an den ersten beiden Tagen des Symposions bereits ein eisernes Gittergestell in einer Mulde des Berges plaziert, das in den nächsten Tagen mit schwarzer Folie abgedeckt und anschließend noch mit Nato-Folie überspannt wird. Wer in diese nicht ganz mannshohen Gänge hineingeht, wird einen Dunkelraum betreten, in dem man sich nur vorsichtig tastend fortbewegen und wie Ameisen - die sich über Pheromone verständigen - olfaktorisch orientieren kann: Wahlweise soll es nämlich nach Fichtennadeln oder Orangen riechen.
Der 3. Internationale Waldkunstpfad eröffnet am 26. August um 15 Uhr auf der Ludwigshöhe. Das umfangreiche Führungs- und Vortragsprogramm läuft bis 24. September. Informationen dazu finden sich im Internet unter www.waldkunst.com. Am 16. und am 23. August (jeweils 20 Uhr) besteht im Naturfreundehaus Eberstadt, Odenwaldstraße 68, Gelegenheit, mit Künstlern ins Gespräch zu kommen.
Text: F.A.Z., 12.08.2006, Nr. 186 / Seite 64