Darmstädter Echo
Ein Laboratorium unter BäumenVorschau: Im Darmstädter Forst entsteht zum dritten Mal „Waldkunst“ – Eröffnung der Schau ist am 25. August
DARMSTADT. Bäume, Waldboden und Wege nach dem Regen: Sie sind ein frisches Gegengewicht zur Hitze der Tage davor. In dieser Umgebung hört man gern zu, wenn Gotthard Scholz-Curtius und Ute Ritschel vom Darmstädter Verein für Internationale Waldkunst ihr drittes „Waldkunst“-Projekt im ehemaligen Darmstädter Forstrevier Böllenfalltor vorstellen. Ende August geht es los, einen Monat lang dauert die Schau. Waltraud Munz und Joachim Kuhlmann haben die Veranstalter mitgebracht: zwei der 14 „Waldkünstler“ aus zehn Ländern, die derzeit am Planen und Vorbereiten sind. Und schließlich ist noch Peter Fischer da. Er war der Förster im nun aufgelösten Revier, und als solcher schon bislang der gute Geiste der „Waldkunst“. Jetzt ist er beruflich als Waldpädagoge mit Kindergruppen zwischen den Bäumen unterwegs. Doch weil er die Natur am Böllenfalltor so gut kennt, ist er erneut auch der bewährte Helfer für die Künstler, der sie nicht nur bei der Auswahl ihres Fleckens Erde oder ihrer Baumkrone beraten kann.
Veranstalter, Künstler, Förster: Man spürt die Freude, mit der sie wie 2002 und 2004 an das Projekt herangehen, bei dem ab 7. August entstehen wird, was die Spaziergänger dann ab 26. August auf dem 2,6 Kilometer langen Rundweg entdecken können. Wieder geht es hinter dem Parkplatz am Polizeipräsidium (Klappacher Straße) los mit dem Fußweg: vom Eingangshäuschen zur Ludwigshöhe, vorbei an Goethefelsen und -teich, dann ab dem Zaun der amerikanischen Kaserne zurück zum Ausgangspunkt.
„Symposion“ nennt Kuratorin Ute Ritschel die Wochen der Vorbereitung – ein Name, der dem künstlerischen Anspruch aller Beteiligten Rechnung trägt. Im Wald werden die Künstler wahrscheinlich jedoch wie die beiden Male zuvor wieder zu „Arbeitern“, die in fast familiärer Nähe zusammenfinden. Denn auch bei der dritten „Waldkunst“ werden die Künstler alle im Naturfreunde-Haus wohnen und sich täglich zur Mittagszeit zur gemeinsamen Vesper am Holztisch nahe beim Beginn des Rundwegs treffen.
Davor steht – auch dies wie gehabt – das Häuschen, an dem für drei Euro der Plan zu den Stationen der „Waldkunst“ zu bekommen ist. Auch Sonntagsführungen und Kinderprojekte sind wieder geplant, und – bei Bedarf – können sich Gruppen zum Gang von Kunstwerk zu Kunstwerk anmelden.
Vieles ist drum für die Freunde dieses außergewöhnlichen Kunstprojekts schon gute Gewohnheit. Doch hat Ute Ritschel dem Projekt, das (einschließlich der Führungen) von nur 13 Vereinsmitgliedern gestemmt wird, einen neuen Aspekt beigegeben. Sie hat die Künstler ausgesucht, die unter anderem aus Argentinien, Kanada, den USA, Bulgarien, Elfenbeinküste, Ecuador, Schweiz und Israel kommen und ihnen zur Aufgabe gemacht, sich Wissenschaftler als Mitschöpfer oder Berater zur Seite zu holen. „Laboratorium“ heißt das Ganze, bei dem eine Künstlerin, deren Arbeit die Ameisen ins Zentrum stellt, einen Insektenforscher um Zusammenarbeit bittet, ein anderer sich einen Ethnopsychoanalytiker dazuholt, um „Orte der Erinnerung“ zu schaffen, die dritte einen Architekten ins Gespann nimmt.
Das Spektrum nicht nur der Projekte, sondern auch solch ungewöhnlicher Partnerschaften ist weit. Deshalb sind auch die Veranstalter gespannt, was daraus werden kann: Bislang kennt Ute Ritschel die meisten Arbeiten nur aus E-Mails ihrer Schöpfer. Waltraud Munz ist eine der Ausnahmen. Sie weiß schon im Detail, was die Besucher gleich zu Beginn des Rundwegs am Herrgottsberg erwarten soll. Sie macht die sachte Erhebung zum „Anthill“, zum Ameisenhügel, auf dem Menschen sich mal klein wie die Insekten, mal sehr groß fühlen sollen. „Man krabbelt den Berg hoch wie die Ameisen, wird unter Vorhängen durch künstliche Gänge geschleust, bis man von oben herabblicken kann. Und man soll etwas riechen können, denn die Ameisen verständigen sich auch durch Duftstoffe, durch Pheromone“, sagt Waltraud Munz dazu. Und sie schwärmt von der irisierenden Folie, mit der sie die 40 Meter bergab bedecken will, die beim Rutschen von Kinder zur Kuhle geworden sind: So schillernd funkeln die Flügel der Hautflügler-Ameisenmännchen auf Brautschau.
Begeisterung und Faszination mischen sich auch in der Beschreibung Joachim Kuhlmanns. Der Darmstädter Bildhauer arbeitet für seinen „Point de Vue“, seinen „Blickpunkt“, zusammen mit Jutta Weber, der Vorsitzenden des Geo-Naturparks Bergstraße Odenwald. „Ich habe sie über das Internet gefunden“, sagt er auf die Frage, wie es zu dieser Kombination von Kunst und Wissenschaft kam. Kuhlmanns Anliegen: Er will den Blick auf die vorhandenen prähistorischen Findlinge lenken, auf Gestein, das rund 300 Millionen Jahre alt ist. Nach einer geraden Wegstrecke von rund 600 Metern soll der Spaziergänger auf einem offenen Platz mit Granitfindlingen anlangen und dort mit menschlichen Gedicht-Schöpfungen konfrontiert werden. „Was sind wir?“, sei angesichts der Abermillionen Jahre Geschichte solcher Steine die große Frage seiner Arbeit, so Kuhlmann.
Vom Darmstädter Wald in die Erdgeschichte: ein kurzer Weg für die Kunst. In der heutigen Realität kann dieser Weg freilich rasch an der Finanzierung scheitern. Es hapert wieder am Geld für die „Waldkunst“ – obwohl erstmals auch Künstler dabei sind, die schon einmal dabei waren und wiederkommen wollten, aber nun eigene Finanziers finden mussten, weil es Zuschüsse zum zweiten Mal nicht gibt. Es ist knapp in der Kasse, auch wenn Ute Ritschels Arbeit in Hessens amerikanischem Partnerstaat Wisconsin (aus dem schon bei beiden früheren „Waldkunst“-Aktionen Künstler kamen) sehr geschätzt wird: Man hat die Darmstädterin eingeladen, im Jahre 2007 dort eine Gastdozentur zu übernehmen und in Entsprechung zur Darmstädter „Waldkunst“ die Schau „Forest Art Wisconsin“ zu gestalten. Die öffentliche Hand bleibt sparsam – 3000 Euro kommen vom Land Hessen, dessen Ministerpräsident der eine Schirmherr ist, 7500 Euro von der Stadt Darmstadt, deren Oberbürgermeister Walter Hoffmann die zweite Schirmherrschaft übernommen hat.
„Es kostet viel, viel mehr“, sagen die Veranstalter. Ohne den Katalog hat man rund 30 000 Euro zu stemmen; mit dem Katalog, der die Aktionen jedes Mal auf Dauer festhält, auch wenn die Natur ihr natürliches Zerstörungswerk betreibt, müssen rund 40 000 Euro aufgebracht werden. Damit dies möglich wird, braucht es die Sponsoren. Es gibt sie auch dieses Mal wieder, und sie investieren in die Freude der Waldbesucher an der Kunst.
Als bekannt wurde, das die „Kathedrale des Lichts“ am kommenden Sonntagvormittag abgebaut werden soll, gab es Bitten, die Arbeit aus den Tuchdreiecken, die Jens J. Meyer 2004 über einen Weg gespannt hat, doch noch einmal neu an ihren Ort zu bringen – schließlich ist die „Kathedrale“ ein Anlaufort im Wald geworden. Doch nach zwei Jahren muss Meyers Werk nun unwiderruflich weichen.
Annette Krämer-Alig